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Die freundliche Revolution (Teil 1)

Die freundliche Revolution
Wie du ganz einfach dazu beitragen kannst, die Welt zu verändern (und dabei ganz nebenbei selbst glücklich wirst)

Worum geht es in der „freundlichen Revolution“ (oder auch „Revolution durch Freundlichkeit“)?

In diesem ersten Teil erkläre ich kurz die psychologischen und physiologischen Hintergründe, warum Freundlichkeit im Alltag ein großes Transformationspotenzial in sich trägt und im 2. Teil beschreibe ich, wie es für dich ganz einfach umzusetzen wäre. Das Schöne dabei: es kostet dich weder Zeit noch Geld – aber vielleicht ein wenig Mut.

Ich bin langjähriger Vipassana- und Metta-Praktizierender und auch -Lehrer, d.h. ich meditiere recht viel, und die Metta-Praxis (die Meditation der „liebevollen Güte“) ist mir besonders ans Herz gewachsen. In dieser Meditation geht es darum, dein Herz wieder erwachen zu lassen, den natürlichen Strom der liebevollen Zuwendung für dich selbst, für andere Menschen, letztlich für alle Lebewesen wieder zu spüren und bedingungslos zu schenken. Wie du dir nach diesen wenigen Worten vorstellen kannst, ist diese Praxis äußerst tief gehend und sehr transformativ.

Eine abgewandelte Form dieser Praxis ist „Metta im Alltag“, oder ganz einfach „Freundlichkeit im Alltag“. Mit Metta (=Bedingungslose Freundlichkeit, Wohlwollen, liebevolle Güte, Mitgefühl) durchs Leben zu gehen, wäre ein vollständiger Gegenentwurf zu dem, wie wir uns derzeit größtenteils im öffentlichen Raum begegnen. Es scheint für uns ganz normal zu sein, durch eine Straße zu gehen, einander zu ignorieren, unfreundlich zu schauen, dem Blick auszuweichen, oder im schlimmsten Fall sogar misstrauisch und abwertend auf jemanden zu reagieren. Warum eigentlich?

Sollte jemand aus dieser unausgesprochenen gesellschaftlichen Übereinkunft ausbrechen und den/die andere/n z.B. auf der Straße anlächeln, läuten bei vielen Menschen sofort die Alarmglocken. Gedankliche Automatismen werden ausgelöst, wie z.B. „Der/Die will was von mir“ oder „Mit dem/der stimmt irgendwas nicht“. Manchmal lächeln besonders Mutige auch zurück.

Es scheint in den letzten Jahrzehnten so viel Angst und Egoismus in den Menschen entstanden zu sein – durch Medien, die Ängste geschürt haben und bei manchen Menschen auch durch eigene Erfahrungen, sodass sich unsere Gesellschaft in kleine Gruppen aufgesplittert hat, und nur mehr die FreundInnen und Familienangehörigen als Menschen und „Subjekte“ wahrgenommen werden, die Aufmerksamkeit und Freundlichkeit verdient haben. Alle anderen existieren quasi nicht als Menschen, sind, zum Teil nur lästige Objekte im Alltag. Entweder sie dienen der eigenen Bedürfnisbefriedigung oder sind uninteressant. Der Kapitalismus hat sich auch in der Psyche der Menschen festgefressen.

Nun ist es aber so, dass wir Menschen zwei absolut zentrale Grundbedürfnisse haben: Verbundenheit und Zugehörigkeit. Wir brauchen das Gefühl zu einem Stamm zu gehören, Teil der Menschheitsfamilie zu sein, das gibt uns Sicherheit und lässt unser Nervensystem ins Gleichgewicht kommen. Nicht erst seit Stephen Porges‘ Polyvagaltheorie wissen wir, dass der Zustand unseres Nervensystems sich nicht nur auf unser psychisches und physisches Wohlergehen auswirkt, sondern auch unsere Wahrnehmung der Welt beeinflusst. Ist mein Nervensystem hochgefahren, ist mein Sympathikus aktiv, bin ich im „Kampf- oder Flucht“-Modus, und das Leben und alles, was mir widerfährt wirkt eher bedrohlich, meine Stimmung ist eher negativ und mein Geist eher eng und wenig kreativ.

Guter menschlicher Kontakt, gesehen zu werden, sich wertgeschätzt zu fühlen, führt dazu, dass unser Nervensystem vom „Bedrohungssystem“ ins „Social engagement“-System wechselt und in diesem Zustand sind wir entspannter, glücklicher, fühlen uns verbundener, sind optimistischer, kreativer, haben mehr Lebensfreude, das Immunsystem wird gestärkt und unsere Selbstheilungskräfte werden aktiviert. Daher würde es sinnvoll scheinen, dieses Gefühl der Verbundenheit, der Zugehörigkeit und der gegenseitigen Wertschätzung zu kultivieren. Und am schönsten wäre es natürlich, wenn wir das nicht nur in unserem engsten Umfeld machen würden, sondern nach und nach diesen „Kreis der Freundlichkeit und Wertschätzung“ auf alle Menschen (und im Optimalfall auf alle Lebewesen inkl. unserer wunderbaren Mutter Erde) auszudehnen.

Stell dir folgende Vision vor: du gehst durch die Stadt und fühlst dich sicher genug, Menschen anzusehen und anzulächeln und genauso wirst du von anderen angesehen und angelächelt. Du fühlst dich mit den Menschen verbunden, fühlst dich als Teil dieser großen Gemeinschaft, in der du gerade lebst, fühlst dich gesehen und wertgeschätzt. Du weißt, dass dich die Menschen nicht anlächeln, weil sie dich für irgendetwas brauchen, oder irgendetwas von dir wollen, sondern weil ihnen euer „Gemeinsames Menschsein“ hinter allen Unterschiedlichkeiten und automatischen Bewertungen des Verstandes bewusst ist. Und da ist auch ein Wissen darüber, dass alle Menschen sich nach Bestätigung, Anerkennung, Wertschätzung und letztlich Liebe sehnen und darauf warten, es von außen zu bekommen. Wie wäre es, nicht mehr darauf zu warten, sondern einfach durch die Welt zu gehen und all das, wonach sich die Menschen so sehr sehnen, großzügig zu verschenken und dabei selbst glücklich zu werden?

Das Schöne daran ist, dass wir dadurch, dass wir Menschen ungeachtet ihres Geschlechts, Alters, Aussehens, sozialen Status, ihrer Herkunft und auch jenseits unserer automatischen Bewertungen, ehrlich freundlich und wertschätzend behandeln, wir auch unser eigenes Herz transformieren. Denn letztlich sind alle Bewertungen, alles, was Menschen in uns auslösen, ein klarer Spiegel dafür, was wir in uns selbst lieben oder auch ablehnen. Können wir also immer mehr Menschen offen freundlich und wertschätzend begegnen, auch wenn automatische Bewertungen und Reaktionen auftauchen, so integrieren wir auch immer mehr unsere inneren Anteile, die vielleicht verdrängt oder sogar abgespalten waren. Mein Herz kann sich mehr und mehr öffnen und ich fühle mich immer mehr mit meiner Ganzheit und dem Leben verbunden. Dies wiederum erleichtert mir auch, auf diese Art und Weise mit anderen Menschen verbunden zu sein – ein wunderschöner positiver Kreislauf, der da entsteht.

Wie könnte die Praxis der „Freundlichkeit im Alltag“ aussehen?

Die Praxis von „Metta im Alltag“ ist sehr einfach und du kannst sie je nach persönlichen Vorlieben, Tagesverfassung oder Gegenüber anpassen, wie es für dich stimmt.

Die Basis wäre, dass du ungeachtet dessen, ob du die Person, die dir gerade begegnet (wenn ihr z.B. auf der Straße aneinander vorbei geht), sympathisch/unsympathisch, freundlich/unfreundlich, interessant/uninteressant, attraktiv/unattraktiv, interessiert/uninteressiert etc. findest, ihr aus tiefstem Herzen wünscht, dass sie glücklich sein möge und frei von Leid (DER klassische Metta-Satz „Mögest du glücklich sein und frei von Leid“ oder einfach „Mögest du glücklich sein“). Eine andere Möglichkeit wäre, dir bewusst zu machen, dass diese Person genau wie du selbst, glücklich sein möchte und frei von Leid. Und letztlich schenkst du dieses Gefühl des Wohlwollens, der Wertschätzung, der bedingungslosen Freundlichkeit dieser Person.

Vielleicht ist es am Anfang leichter, die Person dabei nicht anzusehen und es einfach im Vorbeigehen zu machen ohne dass der/die andere es überhaupt bemerkt. Auch das ist gut, da du damit dein Herz darin schulst, jenseits der Bewertungen offen zu bleiben. Vielleicht wird es mit der Zeit leichter, vielleicht wächst der Mut und du schaust die Person auch dabei an. Und wenn der Mut noch größer wird, könntest du sie auch anlächeln. Vielleicht spürst du auch, dass die andere Person für diese Art von Kontakt offen wäre, dann probiere es aus.

Wichtig ist dabei die Absichtslosigkeit: du willst nichts von der anderen Person. Gar nichts. Weder willst du sie kennenlernen, noch willst du, dass sie zurück lächelt oder sonst irgendwie reagiert. Es geht nur darum, dass du bedingungslos schenkst, so wie die Sonne, die auf alle Lebewesen gleichermaßen scheint. Oder wie ein ganz wunderbarer Clownlehrer es ausgedrückt hat: „Ich öffne mein Herzenstürchen für die andere Person und baue 50% der Brücke zu ihr. Ob und wie die andere Person die anderen 50% der Brücke baut, bleibt ihr überlassen.“ 

Und vielleicht wird die Gruppe jener, die so miteinander in Kontakt gehen, immer größer und wir begegnen einander, erkennen einander, nicken einander zu, legen eine Hand aufs Herz und bestätigen einander in unserem „gemeinsamen-Mensch-sein“ und die Atmosphäre im öffentlichen Raum verändert sich nachhaltig. Auch im Sinne des indischen „Namasté“ – „das Göttliche in mir verneigt sich vor dem Göttlichen in Dir“. Ich sehe dich und erkenne dich an, jenseits aller vermeintlichen menschlichen Makel und eingebildeter Fehlerhaftigkeit.

Es braucht wohl auch hier nur eine „kritische Masse“, die bei dieser freundlichen Revolution mitmacht. Ich lade dich ein, dabei zu sein, damit zu experimentieren, freudvoll wie ein Kind. Und auch bei dir selbst nichts erzwingen zu wollen – wenn du keine Lust auf Freundlichkeit hast, dann sei unfreundlich. Mach es nur, wenn du es wirklich wahrhaftig aus ganzem Herzen tun kannst.

Noch etwas: eine regelmäßige formale Achtsamkeits- und/oder Mettameditationspraxis ist natürlich eine ganz ordentliche Unterstützung, um die Freundlichkeit im Alltag mit wesentlich mehr Leichtigkeit umsetzen zu können.

Ich freue mich darauf, dir auf den Straßen Wiens (oder wo auch immer in der Welt) mit viel Metta zu begegnen!